Ayanna Lloyd Banwo erzählt in ihrem Debütroman von vielen verschiedenen Arten der Liebe – zwischen Eltern und Kindern, Liebenden, Geschwistern, Freunden und auch zwischen den Lebenden und den Toten. Im Interview erklärt die Autorin, was sie zu ihrem Buch inspiriert hat.
Worum geht es in ihrem Roman?
Ayanna Lloyd Banwo: „Als wir Vögel waren“ ist eine mythische Liebesgeschichte, die in einem imaginären Trinidad und Tobago spielt. Zwei Außenseiter, Darwin und Yejide, begegnen sich auf dem ältesten Friedhof der Stadt. Sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen, aber zwischen den Anforderungen eines alten Matriarchats in den Hügeln und einer Stadt voller Abzocker, Träumer und Toter, die keine Ruhe geben, ist die Liebe keine einfache Sache. Eine Abrechnung mit dem Schicksal wartet auf die beiden.
Wie kam Ihnen die Idee zu der Geschichte?
Ayanna Lloyd Banwo: Meine Familie in Trinidad hatte lange das große Glück, dass viele meiner Ahnen sehr alt geworden sind. Nur wenige sind vor ihrer Zeit gestorben. Irgendwann änderte sich das. Ich verbrachte viel Zeit auf dem Lapeyrouse-Friedhof, wo mehrere Generationen der Familie meiner Mutter begraben sind. Während all der Totenwachen und Beerdigungen, als ich in Bestattungsinstituten und Leichenhallen war, begann ich mich für die Menschen zu interessieren, die mit dem Tod zu tun haben. Und plötzlich hatte ich einen Totengräber namens Darwin im Kopf, der abends über den Friedhof geht, um sich zu vergewissern, dass niemand zurückgeblieben ist. Bald darauf folgte die Stimme einer beeindruckenden, trauernden Frau namens Yejide, die dazu bestimmt war, sein Schicksal zu ändern.
Würden Sie sagen, Ihr Buch ist ein Liebesroman?
Ayanna Lloyd Banwo: Alle Geistergeschichten sind Liebesgeschichten. Wir trauern, weil wir diejenigen lieben, die wir verloren haben, und die Toten gehen nicht, weil sie die Menschen und das Leben, das sie zurückgelassen haben, lieben. Ich erzähle von vielen verschiedenen Arten von Liebe – zwischen Eltern und Kindern, Liebenden, Geschwistern, Freunden, zwischen den Lebenden und den Toten. Es zeigt, wie gut es uns tut, sich um unsere Toten zu kümmern, um unsere Vorfahren. Das ist Liebe in ihrer höchsten Form.
Haben Sie eine Figur im Buch, die Ihnen besonders am Herzen liegt?
Ayanna Lloyd Banwo: Ich kann mich für keine entscheiden! Ich habe zwar ein besonderes Faible für Darwin, da er mir die Tore von Fidelis öffnete und mir erlaubte, hindurchzugehen, aber es war Yejide, die wie ein Sturm über den Ort hinwegfegte und die Geschichte aufdeckte, die ich zu erzählen versuchte. Jede einzelne Figur, egal welche Rolle sie in der Geschichte spielt, verhält sich wie eine Hauptfigur, und ich habe alle mit der gleichen Sorgfalt geschrieben.
Gibt es ein Vorbild für die starken Frauenfiguren im Buch aus Ihrem eigenen Leben?
Ayanna Lloyd Banwo: Auf beiden Seiten meiner Familie gab es starke Matriarchinnen, aber meine Großmutter mütterlicherseits erzählte uns immer Geschichten über ihr Aufwachsen, ihre Eltern und Großeltern und längst vergangene Zeiten. Sie war eine wunderbare Erzählerin und sprach von ihnen, als wären sie real. Und das waren sie für mich auch. Menschen bleiben lebendig durch die Geschichten, die man über sie erzählt. Für mich sind Dinge wie Abstammung und Erbe wichtig, sie beeinflussen vieles von dem, was ich schreibe. Geschichten waren für mich zuerst etwas Mündliches, bevor ich sie aufschrieb. Vielleicht ist das immer noch.
Welche Bedeutung haben für Sie die Mythen und Sagen, die in das Buch eingeflossen sind? Sind das Geschichten, die Ihnen in Ihrer Kindheit erzählt wurden? Haben Sie auch etwas hinzuerfunden?
Ayanna Lloyd Banwo: Als ich für den Roman recherchierte und auch andere Bücher las, haben mich Schöpfungsgeschichten und Mythen rund um den Tod begleitet, die Corbeaux (Geier) und Götter und Göttinnen, die für alle sichtbar sind. Die Familiengeschichte und den Schöpfungsmythos, der die Erzählung umfasst, habe ich jedoch erfunden. Aber kann man überhaupt sagen, dass man sich etwas ausgedacht hat? Wir sind ständig Einflüssen ausgesetzt, sie machen uns zu denen, die wir sind. Und um mich herum gab es immer jede Menge Mythen, Bräuche, indigene Schöpfungsgeschichten, Märchen und afrikanische Traditionen in der Diaspora.
Wie waren die Reaktionen in Trinidad auf Ihr Buch?
Ayanna Lloyd Banwo: Es war erfolgreich! Ich bin so dankbar, dass der Ort und die Menschen, die mich inspiriert haben, es lieben und sich darin wiederfinden. Es wurde in Buchklubs und Lesegruppen gelesen, und in den letzten Monaten war es ein paarmal ausverkauft, wurde nachbestellt und war immer mal wieder auf der Bestsellerliste. Das ist wirklich eine Ehre. Ich bin überglücklich. Und erleichtert! Aus Trinidad und Tobago kommen gerade eine Menge großartiger Stoffe.
Welches sind Ihre Lieblingsautor:innen oder Bücher, die Sie inspiriert haben? Sind darunter auch Autor:innen aus der Karibik? Welche sollten in Europa noch mehr gelesen werden?
Ayanna Lloyd Banwo: Es gibt Autorinnen und Autoren, die mir immer wieder durch den Kopf gehen und die, wie ich hoffe, sich auch in meinen Texten finden. Arundhati Roy, Toni Morrison und Isabelle Allende haben mein Schreiben und mein Lesen tiefgreifend beeinflusst; die karibischen Autor:innen Earl Lovelace, Edwidge Danticat und Olive Senior sind meine Prüfsteine und Wegweiser; Marlon James, Ali Smith, Susanna Clarke und Dionne Brand inspirieren mich mit ihrem Wagemut und ihrer Einsicht, und ich würde alles von Audrey Niffenegger, Jesmyn Ward, Sarah Hall, Deborah Levy und Helen Oyeyemi lesen.
Sie leben seit mehreren Jahren in London. Hat sich Ihr Blick auf Ihre Heimat dadurch verändert? Und wenn ja, inwiefern?
Ayanna Lloyd Banwo: „Mehrere“ lässt es unangenehm lang klingen! Ich war zuerst in Norwich, wo ich an der University of East Anglia Kreatives Schreiben studiert habe und dann auch dort promoviert wurde. In London wohne ich erst seit etwas mehr als einem Jahr, und insgesamt bin ich erst vier oder fünf Jahre weg aus Trinidad. Trotzdem fühle ich mich hier noch nicht verwurzelt, als wäre ich immer noch mit einem Fuß dort und mit einem Fuß in England. Ich glaube, das wird immer so bleiben.
Besuchen Sie Trinidad noch häufig?
Ayanna Lloyd Banwo: Es ist schon viel zu lange her, dass ich zu Hause war. Zuerst war es die Pandemie, und jetzt geht es drunter und drüber – die Werbung für das Buch und der Abschluss meiner Doktorarbeit, sodass ich mich wirklich darauf freue, so bald wie möglich Freunde und Familie zu besuchen. Kürzlich habe ich geheiratet, und ich kann es kaum erwarten, meinen Mann und meine Schwiegereltern nach Trinidad mitzunehmen.
Das Interview mit Ayanna Lloyd Banwo führte Stephanie Uhlig vom Diogenes Verlag, Zürich