Zwischen Innen und Außen

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Mit einer Fläche von mehr als eineinhalb Quadratmetern und einem Anteil von knapp 16 Prozent des Körpergewichts ist die Haut nicht nur das größte Organ des Menschen, es erfüllt auch wichtige Aufgaben: Die Haut verhindert, dass schädliche Substanzen ins Innere des Körpers gelangen und sorgt außerdem dafür, dass Wasser und Elektrolyte nicht verloren gehen. Als Kontaktstelle zur Außenwelt ist die Haut die erste Verteidigungslinie des Immunsystems gegen eindringende Krankheitserreger. Die Haut ist aber auch ein großes und empfindliches Sinnesorgan, für positive oder negative Eindrücke. Darüber hat die Redaktion des Access Guide Magazins nachgedacht.

Für Wrexer* ist die Haut das Organ, das die meisten Geschichten erzählt: „Ich trage viele Narben und mittlerweile auch Tattoos. Und es sind auch noch weitere geplant. Die Tattoos sind eine freiwillige Erzählung meiner eigenen Geschichte: Auf meiner linken Schulter trage ich ein polynesisches Muster – einen Stier als Hauptmotiv. Dieser steht für die Geduld und Stärke, die ich in meinem Leben aufbringen muss, damit ich vorankomme. Die Haifischzähne sollen mich vor allem Bösen beschützen, die Spinne, die ihr Netz über mein Leben legt, um es mit dünnen Fäden zusammen zu halten. Das andere Tatoo befindet sich an meiner linken Wade. Es ist ein Albumcover eines von mir geschätzten Musikers. Es ist eine sechsarmige Gottheit mit dem Schriftzug „Fimbulvetr“ darüber. Das steht für den dreijährigen Winter, der mit Ragnarök beginnt.

Auf meine verbleibenden Extremitäten sollen ähnliche Motive kommen. Die rechte Wade wird von einem Flammenriesen verziert werden. Es soll Surt, den Anführer der Flammenriesen darstellen. Im Kampf gegen die Götter wird der Weltenbrand entfacht. Der Schriftzug „Muspell“ wird den Riesen krönen. Auf meinen Unterarmen sollen die Midgardschlange mit einem Vegvisir sowie Skoll und Hati zieren. Die Wölfe, die Sonne und Mond verfolgen und verschlingen und somit die Sterne auf die Erde fallen lassen. Durch diese Erschütterung wird die Midgardschlange erweckt, die daraufhin die Welt flutet. Der Vegvisir soll meinen Richtungsweiser und die Erinnerung an meinen moralischen Kompass darstellen. Den Abschluss macht dann Yggdrasil. Der Weltenbaum wird meine Brust bewachsen. Somit hätte ich alle vier eschatologischen Katastrophen, die den Neuaufbau der Welten einleiten und den Weltenbaum als Zentrum meines Körpers.

Meine Narben hingegen sind nicht freiwillig. Es gibt genug, die unabsichtlich erzeugt wurden, aber auch welche, die ich mir mit Absicht zugezogen habe. Jede erzählt eine Geschichte. Die Brandnarbe an meiner rechten Hand kam von einer Warze, die ausgebrannt wurde. Ich habe gekletztelt und sie dadurch hervorgerufen. Meine Beine sind von Stürzen und Gelsenstiche geprägt. Die Narbe an meinem Hinterkopf, die man sehen kann, wenn ich frisch geschnittene Haare habe, kam, als ich vier war. Die Narbe am Steißbein verdanke ich meiner chronischen Krankheit. Ebenso die in der Achsel.

Die Haut schützt uns. Die Haut zeigt anderen, wer wir sind. In Kombination mit dem Blick, den mir Menschen zuwerfen, eröffnet mir die Haut eine Geschichte, die nicht alle lesen können. Und nicht alle wollen davon erzählen. Es gibt Geschichten, die ich liebend gern erzähle, es gibt welche, die ich nur mit Widerwillen erzähle. Und solche, die ich gar nicht erzähle. Meine Haut ist dick. Nichts dringt so schnell durch. Ich kann viel ab. Aber dadurch ist der Heilungsprozess auch stark eingeschränkt. Und wenn sie einmal verletzt ist, dann merkt man mir das auch an“.

Schmerzhafte Hülle

Toni* schreibt darüber, warum er sich in seiner Haut nicht immer wohl fühlt: „Scheiß-Neurodermitis! Es juckt so oag. Wenn ich mich kratze, beginne ich zu bluten. Das ist gar nicht gut, denke ich mir. Ich muss damit aufhören. Soll ich wieder zum Hautarzt gehen? Die verschriebene Feuchtigkeitscreme und die Antiallergen-Tabletten helfen nichts. Das kann auch von der Psyche kommen, meinte die Ärztin. Sind Sie sehr gestresst? Eigentlich nicht, antwortete ich. Ich bin arbeitslos und kann aufstehen und schlafen gehen, wann ich will. Aber mich plagen Existenzängste. Ich fühle mich in meiner Haut nicht wirklich wohl. Ich bin zwar intelligent und ein sehr herzlicher Mensch, aber ich finde mich in dieser Welt nicht sehr gut zurecht. Vielleicht ist das ja der Grund für meine trockene, rissige Haut.

Trotz all des Leids, das ich ertragen musste, bin ich froh, heute da zu stehen, wo ich bin. Zum Glück bin ich, wie ich bin. Das rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis und das meine ich auch so. Vor einiger Zeit bin ich von Deutschland zurück nach Wien gezogen, doch ich finde mich irgendwie nicht zurecht, obwohl das meine Heimatstadt ist. Die Leute sind sooo oasch Oida. Wien ist so schön. Für mich die schönste Stadt der Welt. Jedoch sind die Wiener ziemliche Ungustln. In Deutschland waren die Menschen viel freundlicher. Die haben meinen Dialekt sehr gefeiert. Auch in Budapest wurde ich so bejubelt, dass sich meine Haare aufstellten. Hier in Wien spreche ich wie fast jeder. Irgendwie fühle ich mich als wäre ich im falschen Film, obwohl ich hier zuhause bin.

Gänsehaut, wenn ich an die unzähligen erfolgreichen Momente denke, welche ich erleben durfte. Der Jubel eines fremden Volkes nach einer Aufführung, welches meinen Text auf jeden Fall nicht zu 100% verstanden hat, stimmt mich glücklich. Ein enorm geiles Gefühl. Auch das Wetter in Bielefeld ist anders. In Wien ist es viel windiger. Das ist im Sommer sehr erfrischend, wenn ich aus der Donau steige, um mich trocknen zu lassen. Im Winter jedoch ist der Wind grausam. Mein Körper zittert morgens am Weg zur U-Bahn. Diese klirrende Kälte ist unerträglich. Ich freue mich auf den Frühlingsbeginn. Lange dauert es nicht mehr bis ich oben ohne am Donaukanal ein Bild male und die Sonnenstrahlen auf meinen Körper einprasseln. Dieses Gefühl auf meiner Haut ist mir mit eines der liebsten“.

Wohltuende Berührungen

Hope* erinnert sich: „Als junges aufgewecktes, (auch) freches Mädchen fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Es kamen oft Fragen von mir wie, wieso bin ich dünkler als meine Freunde, wieso habe ich dunkelbraune Punkte im Gesicht, wieso werde ich manchmal anders gesehen als andere nur, weil ich keine weiße Haut trage wie meine Mamutshka, glatte kastanienbraune Haare wie sie und schmalere Lippen. Ja, sogar ich fand es meist komisch,  nicht so auszusehen wie die meisten in meinem Umfeld. Ich träumte von blauen Augen, blonden Haaren und einer helleren Haut.

Pexels Anna Kester

Bild: Anna Kester auf Pexels

Seit ein paar Jahren weiß ich, dass ich gut bin, so wie ich bin und mich mit meiner Haut wohlfühlen kann auch mit brauner Hautfarbe. Für mich macht es keinen Unterschied wie ein Mensch aussieht, woher er kommt, wie er liebt, solang der Mensch kein Poloch ist. Ich habe schon früh mitbekommen, wie gut es tun kann, einfach mal in den Arm genommen zu werden. Von meiner Familie weiß ich, dass meine Oma früher kaum körperliche Nähe/Zuneigung gezeigt hat. Dies hat alles erst begonnen als ihre Enkelkinder auf der Welt waren, sagt Mama immer. Ich vermisse es mit meiner Oma eingehakt durch Stockerau zu spazieren, von ihr ein Bussi auf die Stirn zu bekommen, eine wohltuende Umarmung zu ergattern oder beim 15 Uhr Café einen Würfelzucker zugesteckt zu bekommen. Meine Oma ist leider schon vor ein paar Jahren an Krebs mit Demenz gestorben. In meiner Erinnerung bleiben die Berührungen aber erhalten. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Die Berührungen, die Wärme, die ich in meiner Familie von klein auf bekommen habe, gebe ich in meiner Beziehung und an meine Liebsten weiter. Um zu zeigen, wie gut und bestärkend es sein kann zu spüren, zu fühlen und nicht alleine sein zu müssen. Zärtlichkeiten, Zuneigungen, Zuwendungen auszutauschen ist sehr wichtig für unser aller Gesundheit. Ich bin immer noch froh, wenn ich meine Mama besuche und das erste worauf sie wartet eine feste, liebevolle Umarmung ist. Eine Umarmung ist wohl das freundlichste und auch berührendste zu gleich. Ich kenne Freunde die Berührungen nie hatten, weil das in deren Familie/Umfeld einfach nicht gegeben war, sie Missbrauch erlebt haben und mit jeglicher Zuneigung nur langsam klarkommen und/oder sie es einfach nicht möchten. Und auch dies ist zu akzeptieren. Nähe und Zuneigung kann man auch zeigen in dem man einfach da ist, es müssen nicht immer körperliche Kontakte sein. Jeder Mensch sollte sich wohlfühlen und trotzdem Zuneigung zu spüren bekommen”.

Guter Stoffwechsel

Alexbo* will eigentlich aus seinem Körper raus weil er einfach keinen Bock hat: „Kein Bock auf gar nichts. Wieso bin ich überhaupt geboren worden, wieso muss ich jeden Tag aufstehen, wieso bin ich jetzt da wo ich jetzt bin? Wieso kann das Leben nicht aufhören zu nerven, wie dauernd aufzustehen und den ganzen Tag herumzusitzen und wenig bis nichts Interessantes zu machen. Es fühlt sich dauernd repetitiv an in dieser Hülle zu leben. Der Tag verläuft dauernd schwarzweiß und so kluge Sprüche brauch ich gar nicht hören wie, dann versuch heute etwas anderes oder gehe heute einen anderen Weg nach Hause oder iss irgendetwas anderes oder geh spazieren“ und wo weiter. So etwas brauche ich echt gar nicht zu hören. Ich mag es nicht von Menschen berührt zu werden die ich nicht mag ich glaube das ist eh jedem selbstverständlich. Von Menschen, die ich mag habe ich wiederum gar kein Problem berührt zu werden. Aber die Menschen, die mich beerühren werden eh nie erfahren, ob ich es mag von denen berührt zu werden“.

RaceKing* fühlt sich sehr wohl in seiner Haut: „Wenn ich im Sommer nach Kroatien ans Meer fahre, dann möchte ich, dass meine Haut ein bisschen dunkler wird. Wenn wir viel Sport machen, dann hat die Haut eine natürliche Kühlung, den Schweiß. Viele Freunde sagen mir, wie kannst du dich so gut in deiner Haut fühlen, weil du bist immer schlank, obwohl du immer so viel isst und das jeden Tag und ich sage immer, dass ich einen sehr guten Stoffwechsel habe. Ich habe auch meine beiden Arme schon zweimal, mein Bein einmal verstaucht und ich hatte schon vier Operationen am Bauch gehabt“.

*Wrexer, Toni, Hope, Alexbo und RaceKing (Namen geändert) sind Teilnehmer*innen von Eranos, einem Projekt zur beruflichen Rehabilitation von Menschen mit psychischen Erkrankungen